KULTURVERSCHWENDUNG
Trotz zahlreichen Vorzeigebauten, die Energieeffizienz mit Schönheit verbinden: Die dicken Isolationsschichten, die landauf, landab um Alt- und Neubauten gelegt werden, haben das gestalterische Niveau unserer gebauten Umwelt nicht eben verbessert. Unhinterfragt wird Nachhaltigkeit mit Energiesparen gleichgesetzt, wobei der ebenso wichtige Aspekt der ästhetischen Langlebigkeit ausgeblendet wird.
Damit droht ein unwiederbringlicher Verlust – nicht nur an bestehenden Kulturgütern, sondern auch an zukünftiger Baukultur.
Nachhaltiger Umgang mit Energie geniesst so viel unwidersprochene Zustimmung in
Medien, Forschung und Alltagsdiskussion, dass man eigentlich schon wieder misstrauisch
werden muss. Zwar geht es unserem Stichwort «Nachhaltigkeit» nicht wie so vielen anderen
Tabellenführern in der medial organisierten öffentlichen Meinung, die nach wenigen Tagen
der extremen Aufmerksamkeit anderen Highlights weichen müssen. Aber auch bei der nun
schon lange dauernden Fokussierung des Themas Nachhaltigkeit auf Fragen der Energiebewirtschaftung
in Autobau und Bauwesen fragt man sich, ob mit dieser Akzentuierung das
Thema wirklich gerecht und erfolgreich angegangen wird.
Drei Einzelaspekte spielen dabei
eine Rolle: der nachhaltige Umgang mit nicht vermehrbaren Energiereserven, besonders
Erdöl und Erdgas, die drängende Sorge um das Weltklima und die neue Last der finanziellen
Kosten. Alle drei Faktoren zwingen so eindeutig zum Handeln, dass es schon fast ein
Sakrileg ist, zu fragen, ob die Art und Weise, wie ein Teil dieses Handelns – die Wärmedämmung
unserer Gebäude, seien es Alt- oder Neubauten – gefordert und umgesetzt wird,
wirklich nur der versprochene Segen ist.
BEGRIFF OHNE FESSELN
Damit uns nicht parteiliche Überzeugtheit automatisch zur Zustimmung zwingt, müssen wir
ein wenig Abstand gewinnen. «Nachhaltigkeit» bezeichnet den Umgang mit knappen
Ressourcen auf eine Weise, dass dieser Umgang die Bedürfnisse der Gegenwart nur
insoweit befriedigt, als es die Zukunftsfähigkeit kommender Generationen erlaubt. Gemeint
ist die Suche nach gegenwärtigem Glück und gleichzeitig die solidarische Einsicht, dass
dieses Glück nicht auf Kosten anderer verwirklicht werden darf. Was bei der «Erfindung»
des Begriffes in der Waldwirtschaft des 18. Jahrhunderts eine örtliche und sachliche Rolle
spielte, hat sich längst ins Unermessliche ausgedehnt, wenn man – übrigens im besten
Sinne von Globalität – nachhaltiges Handeln nicht nur für uns und zugunsten unserer
eigenen Nachkommen, sondern längst auch zugunsten unserer ärmeren Zeitgenossen
weltweit fordert.
Dies hat durchaus auch mit dem engeren Thema dieses Beitrags zu tun: Es gibt im Bemühen,
«nachhaltig» Energiekosten beziehungsweise CO2 zu sparen, Materialverwendung und
politisch relevante Regelungen, die langfristig weder verantwortbar noch «rentabel» sind.
Man denke nur an bestimmte Formen der alternativen Treibstoffgewinnung, etwa an den
Anbau von Zuckerrüben für Biotreibstoff, während die Nahrungsmittelpreise weltweit
steigen. Es ist eine grosse Belastung der heutigen Nachhaltigkeitsdiskussion, dass sich
wirtschaftliche Interessen und menschenfreundliche Überlegungen schon im engen Rahmen
der energetischen Nachhaltigkeitsdebatte untrennbar verquicken.
Zu der globalen Ausdehnung der Verpflichtung zu «Nachhaltigkeit» ist längst eine andere,
mindestens so herausfordernde Erweiterung der Begriffsverwendung gekommen: Die
«Ressourcen», von deren Schonung und nachhaltiger Bewirtschaftung stets die Rede ist,
sind längst nicht mehr allein Brennstoffe und Ackerfrüchte, sondern alles, was der Mensch
zu einem menschenwürdigen Leben ebenfalls unbedingt braucht, aber auch nur in beschränktem
Masse zur Verfügung hat und was, gravierender noch als die Langsamkeit beim
Nachwachsen von Holz und Fischbeständen, unwiederholbar ist. Nicht nur die Verknappungsszenarien
in Ökologie und Ökonomie fordern unser gesellschaftliches Gewissen
heraus.
Dass zum Beispiel auch mit der Toleranz und der Konfliktfähigkeit einer friedfertigen
Gesellschaft nachhaltig umgegangen werden, dass ihr Bildungswesen behutsam gestützt
und entwickelt und die zivilisatorischen Erfahrungen einer alten Kultur als kreativer Fundus
geschont und gestärkt werden müssen, sind längst einvernehmliche Positionen der heutigen
Nachhaltigkeitsdebatte.
SCHUTZ DER ÄSTHETISCHEN INTEGRITÄT
Kehren wir nach dieser kurzen Grundsatzerörterung wieder zu unserem Energiethema
zurück, das wir unter den Vorzeichen dieser generelleren Überlegung angehen müssen. Der
Klimawandel und die Energiekrise stehen mit ihren Konsequenzen für das Weltklima und die
Wirtschaft so beherrschend im Vordergrund gesellschaftlicher Befürchtungen und politischer
Entscheidungen, dass fast jede Massnahme, die unter dem Vorzeichen ihrer
Bekämpfung angekündigt wird, mit reflexartiger Zustimmung rechnen kann.
Schlimm daran ist nicht nur, dass es unter solchen Massnahmen auch Schnellschüsse gibt,
die wirkungslos oder sogar kontraproduktiv verpuffen, wie es von mancher Energiegewinnung
und manchem baulichen Eingriff befürchtet werden muss.1 Hinzu kommt, dass die
diskussionslose Einigkeit, diesen wenigen Zielen total zu dienen, die Abwägung zwischen
weiteren öffentlichen Anliegen, die ebenfalls in das weite Gebiet von «Nachhaltigkeit» fallen,
verhindert. Zwar ist die Errichtung der Windkraftanlagen in kostbarsten Landschaftsgestalten
der Schweiz «gerade noch einmal» gescheitert. Aber was in unverbauten Landschaftsteilen
möglich war, nämlich der Schutz ihrer ästhetischen Integrität, ist für die gebaute
Gestalt unserer Städte und Dörfer, die eine viel schwächere Lobby haben, ungleich
schwerer zu erreichen.
Die baulichen Massnahmen, die in überzeugendster Absicht der Energieeinsparung und, in angenehmster Verknüpfung damit, der Förderung des einschlägigen Gewerbes dienen, unterschreiten häufig krass jeden Massstab von architektonischer und handwerklicher Kultur. Man sollte dabei nicht von blossen Geschmacksfragen sprechen, sondern vom Verlust einer in Jahrhunderten gewachsenen Baukultur, die eine generelle Qualität unserer Umwelt ist. Und wie immer, wenn von Architektur als nachhaltiger Umweltaufgabe die Rede ist, kann sie auch in Zukunft nur das Ziel und Ergebnis langfristiger kreativer, ökologischer, handwerklicher und nachhaltig ökonomischer Anstrengungen sein.
NACHHALTIGKEIT IST MEHR ALS ENERGIESPAREN
Der Prozess dieser Anstrengungen hat selbstverständlich nicht aufgehört, gute Früchte zu
tragen: Unter den zeitgenössischen Leistungen moderner Architektur in der Schweiz finden
sich beachtliche Beispiele, die auch hinsichtlich ihrer Energiebilanz moderne Massstäbe
von Nachhaltigkeit erfüllen.2 Solche Bauten bilden freilich auch in der Schweiz nur einen
verschwindenden Prozentsatz der Produktion, die sich überwiegend offenbar unbeeinflusst
von gestalterischen Anstrengungen von Bauherrschaft, Architekten und Baubehörden
ausbreitet.
Die Qualität dieser Massenproduktion ist schon seit Jahrzehnten weit unter einem
erreichbaren mittleren Durchschnitt, aber seit Energieverordnungen (und in Tourismusgebieten
der ökonomische Zwang, je Wohneinheit ein paar laufende Meter vorpatinierte Holzelemente
zu verbauen) die Verpflichtung, die Bauten «gut zu gestalten» (aus einem Bündner
Baugesetz), ersetzt haben, sehen Neubauten aus wie die Styroporverpackung eines
Küchengeräts. Dabei fällt übrigens auf, dass man Nachhaltigkeit im Umgang mit Energieressourcen
praktisch nur auf baulichem und technischem Wege sucht. Bemühungen um
die Veränderung des Benutzerverhaltens, wie sie «früher» selbstverständlich waren, sind
fast völlig verstummt; auch die Frage, wie man die Kosten dieser baulichen Massnahmen
und ihrer späteren Pflege sozialverträglich überwälzen kann, wird nirgends gestellt.
Noch deutlicher wird jedoch das fast völlige Ausbleiben einer gerechten Abwägung, wenn
man die verheerenden Konsequenzen der energetischen Nachbesserung auf die Gestalt
unserer bestehenden Siedlungen bedenkt – und dabei keineswegs nur historisch besonders
wertvolle Ensembles meint.
Dass diese Nachbesserung unter dem Titel der Nachhaltigkeit
auftritt, macht das Dilemma nur deutlicher. Wenn sich alle darin einig wären, dass «Nachhaltigkeit
» mehr ist als Einsparung an Energie, dann müsste dringend gefragt werden, welche
Nachhaltigkeit vernachlässigt, das heisst: welche Ressource vergeudet wird, wenn wir die
Diskussion so einseitig führen wie derzeit. Vernachlässigt beziehungsweise vernichtet wird
dabei ein ganzer Kosmos von architektonischer Gestaltung in materieller Umsetzung, in
welchem sich, oft in spannungsvoller regionaler Differenzierung, die Erfahrung, Sparsamkeit,
Klugheit und Kreativität generationenlanger Permanenz am bewahrten Ort manifestiert hat.
Es gehört zur Schizophrenie unseres Verhaltens, dass wir diese Werte zwar werbewirksam
einsetzen, wenn wir sie – etwa im Tourismus – in unser Konsumverhalten einbauen können,
dass wir sie dabei aber in der Regel – was extrem unnachhaltig ist – ebenso kurzfristig
ausbeuten und zerstören wie neu vermarktete Tourismusdestinationen.
JAHRHUNDERTEALTE BAUKULTUR GEFÄHRDET
Der Hinweis auf manchen Neubau, der neben der gelungenen Gestaltung auch den
erfahrenen Umgang mit technisch alterungsfähigen, in Schönheit patinierenden und
energetisch klug eingesetzten Materialien und Konstruktionen zu seinen Qualitäten zählt,
oder auf manche vorbildliche denkmalpflegerische Restaurierung mit der ernsthaften
Hinwendung zum Material des Denkmals vermag nicht «nachhaltig» zu trösten, solange in
der landläufigen Produktion und Wahrnehmung von Architektur Fragen bezüglich ihrer
Materialität kaum eine Rolle spielen.
Wie konnte es dazu kommen, dass beim langfristigsten und teuersten Produkt, das sich
unsere Zivilisation massenhaft leistet, den Gebäuden, die wirkliche Beschaffenheit für
langen Gebrauch und lang währende ästhetische Freude eine so belanglose Rolle spielt? Ist
es die Übermacht flüchtiger, virtueller Bilder, die uns die Dimension von der Permanenz der
Objekte und unserer Beziehung zu ihnen abtrainiert haben? Oder ist es ganz banal die
Fixierung auf die Reduktion einer Dezimalstelle bei der Berechnung der Wärmedurchgangszahl
– übrigens bei unvermindertem jährlichem Anstieg der beanspruchten Wohnquadratmeter
–, die uns alle anderen vorhandenen und potenziellen Qualitäten unserer gebauten
Umwelt übersehen lässt?
Von der Beantwortung solcher Fragen hängt es ab, ob in der Abwägung der verschiedenen
Nachhaltigkeiten – die sich ja, wie angedeutet, nicht zwingend widersprechen müssen – die
beschriebenen Umweltqualitäten überhaupt eine Chance haben können. Fehlt nämlich
bereits die Wahrnehmung für diese Qualitäten, schwindet auch die Chance, für ihre
Bewahrung zu kämpfen. Wenn sie aber nicht bewahrt würden, wäre das eine gigantische
Verschwendung.
Georg Mörsch, em. ETH-Professor Denkmalpflege, georg.moersch@tele2.ch
Anmerkung: 1 In diesem Zusammenhang sei auf die Diskussion um den Bau neuer Windenergieanlagen hingewiesen, die in TEC21 31-32/2008 und in einem Leserbrief in TEC21 37/2008 aufgegriff en wurde (Red.)